…ist keineswegs eine reine Touristenstrecke. Es ist eine Eisenbahn-Fernverbindung wie jede andere in Russland, die nach wie vor viel von Einheimischen genutzt wird. Sie führt von Moskau mehr als 9000 Kilometer quer durch Russland bis nach Wladiwostok. Wir legten etwa zwei Drittel dieser Strecke zurück und nahmen in Ulan Ude die Abzweigung Richtung Süden durch die Mongolei bis nach Peking. Obwohl sich die Landschaft veränderte, blieb sich doch das Leben im Zug gleich. Davon berichten wir in diesem Beitrag.
Gleich zu Beginn fällt auf, dass jeder Wagen den eigenen Schaffner resp. meistens die eigene Schaffnerin hat. Diese sind nicht nur für die Billett-Kontrolle zuständig – ohne auf der Liste zu stehen, kann man den Wagen gar nicht erst betreten –, sondern auch fürs Aushändigen/Wiedereinsammeln der Bettwäsche und für die Reinigung. Je nach Personal und Ausrüstung konnten wir unterschiedliche Reinigungsabläufe beobachten: Saugen zur Mittagszeit inklusive Staubwischen der Rückenlehne, Kehren mit kurzem Handreisbesen und anschliessendes feuchtes Aufnehmen des Bodens mit einem zerfetzten, zu viel gebrauchten Lappen, Schnell-WC-Putz ohne Papier aufzufüllen…
Eine Durchsage vor der Ankunft in einem Bahnhof gibt es nicht. Alle 1-1.5 Stunden gibt es einen kurzen Halt von 1-3 Minuten, wobei kaum jemand aus- oder zusteigt. Ungefähr alle vier Stunden hält der Zug für mindestens 15 Minuten. Schaut man sich ein bisschen genauer im Wagen um, findet man einen Fahrplan auf russisch und englisch. Vergleicht man dann die Uhr mit den angegebenen Zeiten, stellt man fest, dass die Züge überaus pünktlich sind. Soll der Zug um 15:54 ankommen, steht er zu genau dieser Zeit.
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Die Passagiere strömen aufs Perron. Man raucht, telefoniert, vertritt sich die Beine, dehnt. Währenddessen werden alle Bremsklötze und Fahrgestelle abgeklopft sowie die Wassertanks aufgefüllt. Auf dem Perron sind kleine Läden verteilt, die von der Zahnpasta bis zum Instant-Kartoffelstock alles für die Reise anbieten. Praktischerweise sind die Produkte hinter den Scheiben so präsentiert, dass man als Tourist einfach darauf zeigen kann. Bei der Einfahrt sieht man die Betreiberinnen herbei eilen, um ihren Laden für die Dauer des Halts zu öffnen.
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Auf die Minute genau, um 16:24 Uhr, setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Ein Pfiff von Zugchef oder Lok fehlt. Die SchaffnerInnen haben aber gut im Griff, wer zu ihrem Wagen gehört und sorgen dafür, dass man rechtzeitig wieder einsteigt.
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Die Züge sind in drei Klassen unterteilt. Wir waren in der 2. Klasse unterwegs. Diese Abteile sind für jeweils 4 Personen ausgelegt. Die Platzverhältnisse sind knapp und Stauraum gibt es nur begrenzt.
Von unseren russischen Mitreisenden lernten wir schnell, wie man es sich im Zug bequem macht: Nachdem das Gepäck verstaut ist, werden Hausschuhe und bequeme Kleidung angezogen. Beides wird auch beim Beine Vertreten auf dem Bahnsteig anbehalten. In den Waggons ist es sehr ruhig. Man merkt kaum, dass auch noch andere Reisende unterwegs sind. Ein Vodka-Gelage haben wir nie mitgekriegt. Dafür wird aber der Heisswasserspender, Samowar genannt, rege genutzt. Geheizt sind diese Geräte offenbar immer noch mit Kohle.
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Ab und zu gibt es ein starkes, unerklärliches Vor- und Zurückrucken. Dies macht das Schlängeln des, mit Heisswasser gefüllten, Gurten-Humpens zu einer wahren Herausforderung, fast wie beim Festival. Das Schaukeln hat aber auch etwas Positives. Man wird angenehm in den Schlaf gewiegt.
Zeit zu verlieren hat selten Vorteile, erst recht nicht aufgrund von Zeitzonenwechseln. Hier bedeutet es jedoch, dass man dem Ziel um eine Stunde näher gekommen ist. Wenn man tagelang im Zug sitzt, ist man um eine «verlorene» Stunde nicht undankbar. Von Moskau bis Irkutsk haben wir, so betrachtet, 6 Stunden gut gemacht. Da dies zusätzlich innerhalb von mehreren Tagen geschah, war Jetlag auch kein Thema. Durchaus angenehm.
Am Fenster ziehen endlose Wälder, vor allem Birkenwälder, Moorlandschaften und hie und da ein Dorf aus einfachen, teils windschiefen Holzhäusern vorüber. Das Land ist flach und unglaublich weit. Kurven gibt es so gut wie keine. Einen Tag vor Irkutsk wird es hügeliger.
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Der Blick auf die Landschaft wird hie und da von einem langen Güterzug versperrt. Hin und wieder erhascht man einen Blick auf Alltagsszenen: bei der Gartenarbeit, auf dem Weg zur Arbeit, beim Fischen im Gummiboot… Auch konnte ich Technisches beobachten. Beispielsweise, dass die Fahrzeuge bei Bahnübergängen zusätzlich zur Schranke mit einer, aus dem Boden klappenden, Stahlplatte an der Überquerung gehindert werden.
In Irkutsk bestiegen wir den Zug Nr. 16. Im Beitrag zu Moskau bereits erwähnte Theorie über Zusammenhang von Zugnummer und Alter des Zuges traf hier zu. Im Vergleich zu den bisherigen war dieser richtiggehend neu, mit Klimaanlage, Vakuumtoilette und Lautsprecher, über die man mit mal mehr, mal weniger traditionell mongolischer Musik beschallt wurde. Die Strecke führt zuerst um die Südspitze des Baikalsees. Es ist der malerischste und abwechslungsreichste Abschnitt auf der Transsibirischen. Hier durchfuhren wir zum ersten Mal Tunnel. Ab Ulan Ude weichen die Birken und machen Steppengras Platz, die Landschaft wird karger.
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Beim Grenzübertritt in die Mongolei warteten wir 2 Stunden an der russischen Grenze und fast so lange an der mongolischen. Erstaunlicherweise wurden die Waggons nur in Russland durchsucht, dafür aber gründlich. Das WC blieb während dieser Zeit verschlossen. Wir teilten den Wagen mit einer holländischen Reisegruppe. Es war wie im Klassenlager: alle bereits im Pyjama und aufgedreht.
Ab Ulan Bator fährt der Zug anfänglich durch hügelige Steppe. Mit jeder Stunde weiter südlich verschwinden die Hügel mehr und mehr. Sobald das Land flach ist, fällt einem der blaue, wolkenlose Himmel erst richtig auf.
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Bei der Ausreise dauerte das Prozedere "nur" noch 1.5 Stunden. Dafür erforderte die Einreise nach China viel Geduld. Die chinesische Grenze erreichten wir um 21:00 Uhr. Alle Passagiere mussten den Zug mitsamt Gepäck verlassen. Begleitet von einem merkwürdigen, etwas unheimlichen Glockengeläut begab man sich in die Ankunftshalle, wo es durch Pass- und Sicherheitskontrolle ging. Nach weniger als einer Stunde wären alle Fahrgäste für die Weiterreise bereit gewesen. Chinas Züge fahren jedoch auf einer anderen Spurbreite als die russischen und mongolischen, weshalb sämtliche Drehgestelle ausgewechselt werden müssen. Während dieser Zeit musste man in einer Wartehalle mit halb so vielen Sitzplätzen wie Passagiere, einem schmutzigen WC und keinerlei Verpflegungsmöglichkeiten ausharren. Verlassen des Gebäudes war nicht erlaubt. Um 01:00 Uhr konnte man wieder einsteigen, geschlagene 4 Stunden später!
Am nächsten Morgen präsentierte sich ein komplett anderer Fensterausblick. Bewaldete Hügel, dazwischen Felder und Früchteplantagen mit Menschen bei der Ernte und quer durchs Land massive Hochspannungsleitungen.
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